Zum zehnten Mal lädt der AStA der Uni zu einer Vollversammlung von „studierenden Arbeiterkindern“. Um 18 Uhr können am kommenden Donnerstag die Studierenden aus Arbeiterfamilien oder mit sogenanntem „bildungsfernen Hintergrund“ beratschlagen, welche Maßnahmen sinnvoll wären, um die Bildungsbenachteiligung zu beenden. Denn diese Benachteiligung ist noch immer gegeben.
In der jüngsten PISA-Studie wurde festgestellt: „Der Leistungsabstand zweier Schüler mit ähnlichem Hintergrund beträgt in Deutschland mehr als 100 PISA-Punkte, je nach dem, ob er auf eine Schule mit günstigem oder ungünstigem Umfeld geht. In keinem anderen Land hat ein sozial ungünstiges Schulumfeld einen derart starken Einfluss auf die Leistungen von Kindern aus sozial schwachen Familien.“ und dort wird geschlussfolgert: „Je früher die erste Aufteilung auf die jeweiligen Zweige erfolgt, desto größer sind bei den 15-jährigen die Leistungsunterschiede nach sozio-ökonomischem Hintergrund – ohne dass deswegen die Gesamtleistung steigen würde.“ (OECD Berlin Center zu PISA 2009)
Als die erste PISA-Studie herauskam und die außergewöhnliche Bildungsbenachteiligung in Deutschland feststellte, kam es in Münster zu einer ersten Vollversammlung von Studierenden mit sogenannter „niedriger sozialer Herkunft“. Dort wurde beschlossen, dass ein „Referat für finanziell und kulturell benachteiligte Studierende“ gegründet werden sollte, wo Arbeiterkinder sich für die Interessen von Arbeiterkindern einsetzen.
Denn diese Benachteiligung ist konstant und sie betrifft nicht nur das Schulsystem, sondern auch die Hochschule. Im „Bologna-Prozess“ wurde vieles umgesetzt wie beispielsweise die Teilung in Bachelor- und Master-Studiengänge, mit dem Effekt, dass eine neue Bildungsschwelle geschaffen wurde, an der Arbeiterkinder ausgesiebt werden. Die geforderte Umsetzung der „Sozialen Dimension“ findet sich aber noch nicht einmal ansatzweise, kritisiert der Präsident des deutschen Studendenwerkes, Rolf Dobischat. Wissenschaftler wie Tino Bargel von der AG Hochschulforschung der Uni Konstanz fordern in einer Expertise für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung gar ein „Social Mainstreaming und Monitoring“, zumindest müssten in den Zielvereinbarungen zwischen Hochschulen und Land auch Fragen zur sozialen Chancengleichheit formuliert werden, fordern Karsten König und der Ungleichheitsforscher Reinhard Kreckel vom Institut für Hochschulforschung der Universität Halle-Wittenberg. „Unsere Analysen legen allerdings den Schluss nahe, dass genau das nicht gewollt wird und dass es vielmehr in erster Linie um die ‚Stärkung von Stärken’ geht, nicht um die Kompensation von Wettbewerbsnachteilen.“ Stellten König und Kreckel bereits 2003 fest.
Genau deswegen ist die Selbstorganisation von Arbeiterkindern wichtig. Am bekanntesten dürfte die Initiative Arbeiterkind.de sein, die in zwei Jahren 1.800 Mentoren und Mentorinnen gewinnen konnte, die zumeist selber aus der Arbeiterschicht kommend, an Schulen gehen und an Hochschulen Büros einrichten, um zumindest das Informationsdefizit von Arbeiterkindern zu verringern. Hierfür erhielt die junge Initiative bereits ein gutes Dutzend Auszeichnungen und eine große mediale Aufmerksamkeit.
Weniger bekannt ist das bewusst politische und damit auch unbequemere Arbeiterkinder-Referat in Münster. Den Referenten ist zwar die Beratung wichtig, das Ziel sei aber in erster Linie bildungspolitische Veränderung. Im Januar 2010 wurde daher das Magazin und Blog „The Dishwasher. Magazin für studierende Arbeiterkinder“ geschaffen, wo ein größer werdendes Netzwerk von interessierten Arbeiterkindern über Bildungspolitik diskutiert. Diese Vernetzung findet auch international statt, so richtet das Referat in Münster die 15. internationale Tagung der Working Class Academics erstmals in Deutschland aus. Ein Schwerpunkt der Konferenz der Hochschullehrerenden mit Arbeiterfamilienhintergrund werden diesmal Fragen der Promotionsförderung von Arbeiterkindern sein. Bekanntlich bekommen ausgerechnet Arbeiterkinder seltener Stipendien als ihre besser gestellten Mitstudierenden.
Bildungspolitische Erfolge kann das Fikus-Referat ebenfalls verzeichnen. Aktuell: Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wird für ihren Reader „Diskriminierungsfreie Hochschule“ nun auch die „soziale Herkunft“ als Kriterium aufnehmen, was zunächst nicht vorgesehen war, woraufhin das Fikus-Referat auf verschiedenen Ebenen intervenierte.
Bei der 10. Vollversammlung der studierenden Arbeiterkinder an der Uni Münster wird es also um konkrete Bildungspolitik gehen und um den Alltag an den Hochschulen – denn das haben die Arbeiterkinder von der Frauenbewegung gelernt: das Persönliche, der Alltag, ist politisch.
Do, 18.12. 18.00 Uhr Vollversammlung der studierenden Arbeiterkinder,
AStA Uni Münster, Schlossplatz 1
0251/8322286