Die Anti-Klassismus Bewegung nimmt Form an. Es haben sich bereits an einigen deutschen ^Hochschulen autonome Referate gegründet. So z.B. in Marburg, Gießen, Mainz und Köln. Hier in Münster gibt es bereits seit ca. 20 Jahren ein autonomes Referat, um die Interessen von finanziell und kulturell benachteiligten Studierenden zu vertreten. Nun tut sich auch in Bielefeld was. Wir haben mit der Initiative vor Ort ein Interview geführt und uns bei unseren Fragen an Bielefeld auch von unser vergleichsweise langen Geschichte leiten lassen.
(1) Ihr nennt euch genauso wie wir in Münster, fikuS, warum nicht direkt Arbeiter*innenkinder?
Eigentlich möchten wir uns auf solche Diskussionen gar nicht einlassen. Die Entscheidung uns FikuS zu nennen, entstammt eher pragmatischen Gründen. Das Label kennt man halt eventuell schon. Arbeiter*Innenkinder-Referat nennen wir uns deshalb nicht, weil wir nicht so genau wissen was, das eigentlich sein soll. Also wir wissen es schon, aber es wirkt etwas “exklusiv”.
Genauso gut wäre ja auch Studierende erster Generation, Gastarbeiter*Innenkinder, Armutskinder, Nichtakademiker*Innenkinder, oder oder oder. Deshalb sagen wir: Wir machen Politik für diejenigen, die sich eben angesprochen fühlen. Und das können unserer Meinung nach auch Studierende aus Armutsfamilien sein, dessen Eltern studiert sind.
(2) Wo würde für euch, der Unterschied zu einem bereits bestehenden Sozialreferat bestehen?
Mit dem Sozialreferat stehen wir seit kurzem in gutem Austausch, so bestehen hier auch Beziehungen außerhalb der Referate in anderen Arbeitsgemeinschaften, so zum Beispiel dem Urban Gardening. Wir kennen auch den ein oder anderen Trick im Umgang mit Wohngeld & Co, können — und wollen — dem Sozialreferat aber keine Konkurrenz machen. Im Austausch mit dem Sozialreferat wurde aber auch klar, dass vor Allem Studierende erster Generation ihr Angebot in Anspruch nehmen und von dieser Seite ein hoher Bedarf ist, den man gemeinsam auf unterschiedliche Art bedienen kann.
Des Weiteren wird unter Schlagwörtern wie beispielsweise “Empowerment” erstmal recht viel verstanden. Grundsätzlich fasst das unseren Anspruch aber gut zusammen. Wir wollen vor allem Menschen eine Anlaufstelle zum Austausch bieten, die sich an der Uni fremd fühlen. Außerdem sehen wir einige Leerstellen an der Uni, die wir auch auf unserem Instagram-Kanal etwas ausgeführt haben. Vor Allem wollen wir mit unserem Projekt (und Plenums-Ort) “Dünne-Decke” einen Raum zum Austausch bieten, an dem man auch mit schmaler Mark zusammenkommen kann, ohne sich Gedanken machen zu müssen, ob man sich den Abend “leisten” kann.
(3) Ihr tretet gerade im StuPa zur Wahl an, aber eigentlich wollt ihr ein autonomes Referat gründen, wie kam es dazu?
Warum sollten sich finanziell und kulturell benachteiligte Studierenden, also auch Arbeiter*innenkinder, jedes Jahr erneut im StuPa für den Erhalt ihres Referates abmühen müssen, wo Bildungsbenachteiligung aufgrund der sozialen Herkunft doch keine Neuigkeit ist, sondern ein schon seit Jahrzehnten bestehender Missstand, der leider auch nicht so schnell in einem Jahr verschwinden wird. Deshalb ein autonomes Referat!
Dass wir Leben und Studieren dürfen, beantragen wir ja quasi alle paar Monate schon bei diversen Behörden.
fikuS Bielefeld
Warum wir dennoch ins StuPa wollen, hängt ganz einfach damit zusammen, dass wir nicht auf andere “Linke”-Unigruppen vertrauen, dass diese uns dieses Recht eingestehen. Vielmehr wird die Antiklassismus-Szene in Bielefeld eher bekämpft oder es wird über uns, statt mit uns geredet. So wurden beispielsweise schon Vorträge von Gruppen veranstaltet, um unsere Szene zu diskreditieren. Zu unseren Vorträgen ist dann jedoch niemand dieser Gruppen gekommen. Ins Stupa gehen wir also in der Hoffnung, dass man uns nicht mehr ignorieren kann.
(4) Wie sieht die hochschulpolitische Landschaft in Bielefeld aus, hat sich bisher denn niemand für Arbeiter*innenkinder stark gemacht?
In Bielefeld gab es unserer Information nach schon mehrere Versuche ein Arbeiter*Innenkinder oder Antiklassismusreferat zu gründen. Tatsächlich sogar schon wenige Jahre nach dem Fikus Münster. Hier ist es jedoch so, dass sich scheinbar niemand etwas darunter vorstellen kann, oder vielmehr noch, sogenannte orthodoxe Marxist*Innen unsere Bewegung immer wieder unterdrücken wollen. Es ist aber auch anzumerken, dass anscheinend niemand Interesse daran hat, mit den eigenen Vorurteilen gegen uns zu brechen.
Info: StuPaMat zur Wahl an der Uni Bielefeld (2023)
(5) Die Hochschulpolitik ist voll von argumentativen Grabenkämpfen, Vorurteilen und festgefahrenen Meinungen. Würdet ihr dieser These zustimmen, wenn ja, warum?
Ja eindeutig. Wir haben vor allem das Gefühl, dass Konflikte nicht auf einer inhaltlichen Ebene, stattfinden sondern eher auf Ebenen der “Hinterzimmerpolitik” also aufgrund von Verstößen gegen eine Art “Knigge” nicht ausgehalten werden können.
Zugegeben, einige von uns reißen begründeter weise, ganz schön die Schnauze auf. Weil wir nicht immer die Geduld haben um nett und im Klein Klein zu diskutieren. Für uns als Betroffene scheint es besonders schwierig, diese institutionalisierten Machtstrukuren und bürokratischen Zugänge nachzuvollziehen und nach ihnen zu handeln.
(6) In politischen Kontexten werden Themen oft auf ja/ nein, oder schwarz/ weiß zugespitzt. Das verkennt die Realität. Ist euch vor Ort sowas in der Art schon aufgefallen?
Bei einer konkurrierenden Liste (uni:Links) heißt es beispielsweise “99% der Bevölkerung leide unter dem Kapitalismus”. Grundsätzlich verstehen wir, worauf man da hinauswill und haben auch Sympathien dafür. Wir finden aber, dass diese Ansichtsweise einige Leerstellen aufweist. So zeigt ja auch die Empirie beispielsweise aus der IGLU oder TIMMS Studie, dass die Realität so gerade im Bildungssystem nicht abgebildet werden kann. Wir glauben, dass mit derartigen Erzählweisen die prekären Lebensweisen vieler Studierender verdeckt werden und halten die Realität der “Klassenlinie” für deutlich komplexer.
(7) Oft werden Probleme auch schöngeredet oder wegdelegiert, am besten aus dem eigenen Einflussbereich, sodass jemand anderes sich darum kümmern muss, fällt euch dazu vor Ort was ein?
Dass die Probleme, die wir ansprechen, tatsächlich schöngeredet werden, können wir nur sehr begrenzt behaupten. Was aber definitiv der Fall ist, ist, dass die Probleme verschoben werden. Damit meinen wir neben Uni:Links z.B. dass die Jusos in ihrer Begründung, warum sie uns ablehnen, darauf hinweisen, dass wir “das eigentliche Problem verkennen würden” und bereits weit vor dem Studium für Chancengerechtigkeit gesorgt werden müsste”. Dieses Statement ist aus zweierlei Gründen völlig absurd:
1. ist uns das natürlich klar. Gerade die Diskriminierung, die wir vor der Universität erlitten haben, hat uns ja erst zu unserem Anliegen motiviert — wir sind quasi Expert*Innen auf dem Gebiet.
2. Sind wir nun mal aktuell Studierende und möchten an unserer Uni Bildungsbarrieren abbauen.
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