Chancengleichheit und Diskriminierung — Abweichende Überlegungen zum Kampf um faire Chancen

Wir laden euch ein zum Vortrag von Prof. Dr. Arian Schiffer-Nasserie, der am 17.12.2015 um 18:00 im S9 stattfindet.

Hier gehts zur Facebook-Veranstaltung: https://www.facebook.com/events/450922481769671/

Der Vortrag beschäftigt sich mit “Diskriminierung und Chancengleichheit” und den naheliegenden aber falschen Umdeutungen des Gleichheitsgebots im demokratischen Gegeneinander von (Hoch)Schule, Arbeits- und Wohnungsmarkt. Die nachfolgenden Thesen sollen dabei begründet und bewiesen werden:

1. Wenn über faire, gerechte, diskriminierungsfreie usw. Entscheidungs- und Verteilungsverfahren gestritten wird, dann steht damit das wichtigste Ergebnis bereits fest: Es wird Sieger und Verlierer geben.

2. “Gleiche Chancen für alle” bedeutet also nicht, dass “alle” gleich erfolgreich sein werden. Im Gegenteil — “Chancen” gibt es überhaupt erst da, wo Scheitern vorprogrammiert ist. Chancengleichheit bedeutet also lediglich, dass “jedeR” zu den Gewinnern gehören könnte — aber gewiss nicht alle!

3. Gleiche Chancen im Sinne allgemeinen Gleichbehandlung im Bildungswesen oder auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt ohne Rücksicht auf Geschlecht, soziale Herkunft, Abstammung, Eigentum usw. bedeutet, dass die BewerberInnen rücksichtslos gegenüber ihren unterschiedlichen Voraussetzungen gleichermaßen nur danach beurteilt und sortiert werden, inwiefern sie den Ansprüchen von Staat und Markt gerecht werden.

4. In der freien und gleichen Konkurrenz des bürgerlichen Rechtsstaats führt die Gleichbehandlung von Ungleichen “ohne Ansehen der Person” (und ihres Eigentums) dazu, dass regelmäßig jene als Gewinner daraus hervor gehen, die schon zuvor über die besten Lebensbedingungen verfügten. Kein Wunder also, dass die egalitären, demokratisch und menschenrechtlich legitimierten Selektionsmechanismen der kapitalistischen Gesellschaft die “soziale Ungleichheit” reproduzieren — nicht trotz, sondern wegen des Egalitätsprinzips!

5. Warum faire, diskriminierungsfreie Ausleseverfahren ausgerechnet zur statistischen Gleichverteilung aller gesellschaftlichen Gruppen führen sollte, ist nicht absehbar. Zudem bleibt die Frage, was es den VerliererInnen mit und ohne Minderheitenstatus nützt, wenn eine Geschlechtsgenossin als Kanzlerin ihnen die “Alternativlosigkeit” ihrer sozialen Lage erklärt oder ein schwarzer Mann im Weißen Haus die Herrschaft über die US-amerikanische Unterschicht übernimmt.

6. Die Modifikation der Konkurrenz zu Gunsten einer bestimmten Gruppe (durch positive Diskriminierung, “mainstreaming”, “affirmative action” usw.) kann einen gruppenspezifischen Vorteil im gesellschaftlichen Gegeneinander ermöglichen; insbesondere, wenn kompensatorische Maßnahmen vom Gesetzgeber als nützlicher Beitrag für mehr Wachstum und Stabilität im Gemeinwesen anerkannt werden. Das dies einen Nachteil für andere bedeutet, ist selbstverständlich. Zum Realismus staatlich anerkannter Modifikationen gehört aber auch, dass sie im Sinne der Sortierungskriterien — Staatsangehörigkeit, Loyalität, Nützlichkeit, Zahlungsfähigkeit, Leistungsbereitschaft und Verwertbarkeit — einen nationalen Dienst leisten müssen.

7. Sofern die benachteiligten Konkurrenzidealisten sich von ihrer politischen Führung keine materielle Besserung ihrer eigenen Belange sondern “mehr Gerechtigkeit” wünschen, so lässt sich ihr Begehr einerseits leicht durch die Schlechterstellung anderer Gruppen befriedigen: Politiker spielen den feinen Gerechtigkeitssinn ihrer Bürger souverän gegeneinander aus und ergänzen die Kürzungen im Sozialbereich um einen entschiedenen Kampf gegen Sozialtourismus. “Ungerecht” geht es andererseits dennoch vom Standpunkt der Verlierer und ihrer selbsternannten sozialpolitischen Anwälte allein schon deswegen immer zu, weil sie von der Einbildung nicht lassen wollen, dass eine wirklich gerechte, durchsetzungsstarke, souveräne staatliche Wettbewerbsaufsicht über die kapitalistische Konkurrenz keinesfalls auf ihre persönliche Schädigung hinaus laufen könnte…

Fazit: Vorurteils- und diskriminierungsfreie Konkurrenz nützt nicht den Wettbewerbern. Der Nutzen des freien und gleichen Wettbewerbs liegt ganz bei Politik und Wirtschaft. Vorurteilsfrei beurteilen sie Schüler, Studenten, Arbeitskräfte, Zuwanderer und Mieter ganz “ohne Ansehen der Person” nach ihrer Nützlichkeit für ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen.

Prof. Dr. Arian Schiffer-Nasserie ist Hochschullehrer für Soziale Arbeit an der Evangelischen Fachhochschule in Bochum. Schwerpunkte: Sozial- und Migrationspolitik, Rassismus und Diskriminierung. Publikationen zum Thema finden sich kostenlos unter Schiffer-Nasserie im Internet.


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